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KAPITEL SECHS
HERMSDORF (HERMANSTHORP)

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!“ So wie Goethes Faust könnte man Hermsdorf beschreiben. Denn das historische Zentrum befindet sich etwa einen Kilometer entfernt vom heutigen Ort, der Heinsestraße zwischen Hermsdorfer Damm und Fellbacher Platz.
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Museum Reinickendorf in Alt-Hermsdorf


Im 18. Jahrhundert wurde das Dorf bis zur heutigen Berliner Straße erweitert, als sich König Friedrich II. von Preußen zwischen 1740 und 1786 durch Ansiedlung von Ausländern bemühte, die seit dem Dreißigjährigen Krieg wüst liegenden und unterentwickelten Gebiete in der Mittelmark zu stärken. So wurde Neuhermsdorf gebaut, und zwar entlang der Straße Alt-Hermsdorf weiter nördlich (auf der anderen Seite der heutigen Almutstraße). Die alte Kirche wurde abgerissen und auf neuem Gebiet an der heutigen Almutstraße 7 im Jahr 1754 eine neue errichtet: eine Saalkirche mit aufgesetztem Holzturm. Dennoch bestatteten die Hermsdorfer ihre Toten weiterhin auf dem alten Friedhof, und zwar noch bis 1875. Dann wurde der Friedhof aufgelöst. An ihn erinnert seit 1928 ein Findling mit der Inschrift „Menschen wie Du fanden hier Ruh“.

Bis Mitte des 18. Jahrhunderts war Hermsdorf ein kleines Dorf mit nur 58 Bewohnern – fünf Kossätenfamilien, ein Krüger und ein Müller. Um 1800 besaß das Dorf rund 188 Einwohner, drei Mühlen, einen Krug und eine Ziegelei. Es gab einen Dorfkrug mit Reisestall, aus dem später das Ausflugslokal Restaurant Lindengarten für die Berliner wurde. Der Tanzsaal wurde in den 1920er Jahren als Kino genutzt.

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!“ So wie Goethes Faust könnte man Hermsdorf beschreiben. Denn das historische Zentrum befindet sich etwa einen Kilometer entfernt vom heutigen Ort, der Heinsestraße zwischen Hermsdorfer Damm und Fellbacher Platz.
Dort „tobt“ das Hermsdorfer Leben, gehen Menschen einkaufen, arbeiten und treffen sich.

Der ursprüngliche Dorfanger befindet sich an der Straße Alt-Hermsdorf. Und wie der Straßenname schon besagt, befindet sich hier auch wirklich das alte Hermsdorf – das echte Herz des kleinen Dorfes, das im Jahr 1349 erstmals urkundlich erwähnt wurde.

Doch bereits vor dieser urkundlichen Erwähnung scheint dieser Ort zum Wohnen gut geeignet gewesen zu sein: Wo sich der Dorfanger befindet, gab es zuvor schon um 1200 eine slawische Siedlung in halbrunder Form. Bei verschiedenen Ausgrabungen durch das Archäologische Landesamt Berlin wurden im Bereich des alten Dorfkerns auf dem Gelände Alt-Hermsdorf 9 – 10A einige Funde gesichert und eingeordnet. Fest steht, dass in Alt-Hermsdorf 9 vermutlich im 13. und frühen 14. Jahrhundert ein bäuerliches Gehöft stand. Dieser Fund deckt sich mit der historischen Überlieferung, die die Existenz von Hermansthorp vor 1349 belegt. Es wurden sogar Keramiken gefunden – die ältesten Fragmente stammen aus dem 13. Jahrhundert.

In der Mitte errichteten die sich hier angesiedelten christlichen Bauern eine Holzkirche, einen kleinen Friedhof und einen Sammelplatz für ihr Vieh. Insgesamt acht Bauernhöfe gab es zu dieser Zeit. Doch von diesem Dorf sind lediglich Ruinen geblieben. Es gelang, in etwa 1,50 Meter Tiefe die Reste des Feldsteinfundaments der im 18. Jahrhundert baufälligen und daher abgetragenen Kirche freizulegen. Der Grundriss des Kirchengebäudes, das im frühen 16. Jahrhundert aus einem Gemisch aus Feldsteinen und Ziegeln errichtet wurde, ist nun an der Oberfläche wieder sichtbar. Innerhalb dieses Grundrisses fanden sich sogar Reste einer älteren Holzkirche, die bis in das 13. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist.

Nach einer Karte von 1699 lag Hermansthorp auf einer Halbinsel, die vom Hermsdorfer See, der heute noch südlich des Dorfes existiert, umgeben war. Der Hermsdorfer Friedhof und die Kirche befanden sich gegenüber der heutigen Dorfkirche auf dem jetzt freien Platz des alten Dorfangers.
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Bahnhof Hermsdorf 1959

Die Tonwarenfabrik zog zahlreiche Arbeiter an, und die Hermsdorfer Ziegel waren im 19. Jahrhundert ein gut zu verkaufendes Produkt – nicht nur für die Backsteinkirchen, sondern auch für das Rote Rathaus in Berlin-Mitte. Allerdings wurde die Konkurrenz in Rüdersdorf und Zehdenick zu groß, und die Produktion der Ziegelei in Hermsdorf Ende des 19. Jahrhunderts eingestellt. Die Tongrube wurde später teilweise als Badeanstalt genutzt, in der ehemaligen Fabrik befand sich bis in die 1970er Jahre das „Restaurant Seeschloss“.

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Heute sind in den ehemaligen Tongruben kleine Seen entstanden, die links und rechts der heutigen Seebadstraße liegen. In der Junostraße 7a befindet sich das Arbeiterwohnhaus der ehemaligen Fabrik, das seit 1989 unter Denkmalschutz steht. Der ehemalige Schornstein der Fabrik zeugt von der industriellen Zeit Hermsdorfs. Die Straße Am Seeschloß erinnert an die lange Periode des gleichnamigen Ausflugsrestaurants. Hier waren einst ein Pferdestall für Gästepferde, ein Tanzsaal, Kegelbahnen und Gartenpavillons vor allem im Sommer sehr beliebt.

Hermsdorf hatte seit etwa 1250 eine Wassermühle am Tegeler Fließ, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch eine Schankberechtigung hatte. Sie wurde allerdings aufgrund der großen Konkurrenz anderer Mühlen in den 1860er Jahren stillgelegt und war dann als „Wirtshaus zur Mühle“ nur noch Gastwirtschaft. Später befand sich in den Räumen ein China-Restaurant, der große Saal war der ehemalige Mahlraum. Auch eine Holländer-Windmühle hat es gegeben. Der achteckige Sockel befindet sich heute auf dem Gelände des Kinderheims Elisabethstift.

Im alten Backstein-Schulgebäude von 1889 befindet sich heute das Museum Reinickendorf. Rund um Alt-Hermsdorf stehen auch heute noch einige historische Bauten, unter anderem der ehemalige Kossätenhof in Alt-Hermsdorf 11 (heute Auenhof-Café und Galerie).

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Grundriss der alten Hermsdorfer Dorfkirche an der Straße Alt-Hermsdorf

Unter dem Gutsbesitzer Leopold Lessing sollte sich Hermsdorf zu einem Kurort entwickeln. Er ließ sogar ein Gieß- und Badehaus in der Kneippstraße errichten. Doch seine Pläne nach der Erschließung einer Solquelle an der heutigen Solquellstraße scheiterten, und dennoch trug er maßgeblich dazu bei, dass sich Hermsdorf nach der Anbindung an den Berliner Vorortverkehr – gemeint ist die Eisenbahnstrecke Berlin-Neubrandenburg – zu einem Villen- und Wohnvorort entwickelte.

Dies führte auch zu einer Blütezeit der Ausflugslokale: So gab es 1896 im Dorf 16 Schanklokale, und 1911 war die Anzahl auf insgesamt 26 Gaststätten, ein Weinlokal und 17 Cafés angewachsen, darunter war auch das später zur Apostel-Paulus-Kirche umgebaute „Waldschlösschen“ an der heutigen Wachsmuthstraße. Es begeisterte die Gäste mit seinem Kaisersaal, dem Aussichtsturm, einem Wasserfall und einer bengalischen Grotte. Durch die Erschließung einer Solquelle wurde Hermsdorf kurzfristig sogar zum Kurort erhoben.

Mit dem Bahnhof an der Bahnhofstraße im Jahr 1913 und der Elektrifizierung der S-Bahn 1925 wuchs das Interesse der Bürger, hierher zu ziehen. Im Kalten Krieg wurde der S-Bahnverkehr eingestellt und erst im Mai 1992 wieder aufgenommen. Seitdem ist das kleine feine Zentrum rund um die Heinsestraße ein beliebtes Ziel für Einkäufe, Cafébesuche und einen Straßenbummel. Wer jedoch den Hauch der Vergangenheit spüren möchte, geht nach Alt-Hermsdorf. Dort schlägt das eigentliche Herz des kleinen Hermsdorfs.